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Nackter Glaube

„Stell dir vor, die Kirchenglocken rufen zum Gottesdienst – und keiner geht hin!“ Dieses Sprichwort gewinnt in jüngster Zeit immer mehr an Aktualität. Stuart Murray, britischer Theologe, Gemeindegründer und Teil des Anabaptist Network in Großbritannien, zeigt in „Nackter Glaube“ auf, wie Christsein in einer nachchristlichen Welt an Glaubwürdigkeit gewinnt und gelebt werden kann.

 

Der Autor hat sich seit vielen Jahren mit der Frage nach der Zukunft christlicher Kirchen und Gemeinden beschäftigt. Doch wieso? Ein Grund hierfür liegt darin begründet, dass es heutzutage nicht mehr übertrieben ist, vom Ende des Einflusses der christlichen Kirchen auf das gesellschaftliche Leben zu sprechen. Vielerorts ist der christliche Glaube bloß noch ein Sinnangebot auf dem Markt der Möglichkeiten. Stuart Murray hält diesen Niedergang der christlichen Dominanz für eine begrüßenswerte Entwicklung. Aber nicht, weil Menschen ohne Sinn und Orientierung durchs Leben gehen, „sondern im Verlust der gesellschaftlichen Machtposition sieht er die Möglichkeit, dass Christsein wieder „jesusähnlicher“ werden kann“.

 

Murray selbst verortet die Kraft des christlichen Glaubens nicht in der Allianz von Kirche und politischer Elite, wie sie die Geschichte des Christentums beschreibt, sondern er betont ein mutiges und verletzliches Christsein, das sich konsequent am Leben Jesu Christi orientiert. Und so möchte er aufzeigen, dass Kirche anders sein kann – ja, sogar anders sein muss, wenn sie zu Menschen im 21. Jahrhundert sprechen möchte. „Als Inspirationsquelle und Gesprächspartner dient ihm dabei die täuferisch-mennonitische Tradition, die ihren Ursprung in der Reformationsbewegung des 16. Jahrhunderts hat“. Und das ist interessant, denn Murray selbst ist kein Mennonit, sondern hatte als Baptist lange Zeit keinerlei Berührungspunkte mit der täuferisch-mennonitischen Tradition.

 

Im ersten Kapitel findet sich eine einfache Einführung in die täuferische Bewegung. Dabei untersucht Murray dessen gegenwärtige Bedeutung. „Mission muss das gängige Bemühen um die Aufrechterhaltung des kirchlichen Lebens ersetzen“. Mit den „core convictions“ (= Grundüberzeugungen) drückt das Anabaptist Network aus, was Glaubenskonsens ist und zeigt die Konsequenzen auf, zu der dieser Glaube führt. Sie sind „keine Update-Version historischer Täufer-Dokumente“, sondern man möchte aus der täuferischen Tradition lernen, um für das Hier und Heute Anwendungen zu formulieren.

 

Die nachfolgenden vier Kapiteln führen näher aus, was diese Grundüberzeugungen für ein Christsein in der nachchristlichen Welt bedeuten können. Dabei verstehen sich die core convictions nicht als allumfassende Glaubensdarstellung, sie sind auch kein Credo oder ersetzen ein Glaubensbekenntnis oder möchten so eines untergraben. „Sie bieten jedoch einen Weg, Nachfolge Jesu ungewöhnlich ganzheitlich zu verstehen und zu leben“. Zentral dabei ist eine zutiefst Jesus-zentrierte Nachfolge. Ihm zu folgen, hat Auswirkungen im Jetzt. Das Leben und die Lehre Jesu sind dabei ausschlaggebend. Jesusnachfolger sehen sich heute der Herausforderung des Post-Christentums gegenüber. Dabei gilt es „zur guten Nachricht für die Armen, Machtlosen und Verfolgten zu werden“.

 

Als Leser sollte man wissen, dass Murrays Ansätze hierbei von der Emerging Church Bewegung inspiriert sind. Er verknüpft die aktuelle Bewegung mit den Anfängen des Täufertums, da Inhalte der beiden Bewegungen sich miteinander decken. Beispielhaft seien hier Gerechtigkeit und Frieden als zentrale Motive benannt, die die Täufer prägten und heute mehr denn je benötigt werden.

 

Nachdem Murray den vorangegangenen Kapiteln die Grundüberzeugungen des Täufertums für das 21. Jahrhundert dargestellt hat, blickt er in Kapitel sechs auf die historischen Täufer. Dieser Rückblick ist wichtig, denn hieran können aktuelle Entwicklungen in ihrem Bestreben Orientierung erfahren. Das Schlusskapitel blickt auf die Täufer heute. Lobenswert ist, dass der Verfasser hier ehrlich Themen anspricht, die in der Vergangenheit innerhalb der Bewegung zu Gesetzlichkeit führten.

 

Murrays Schreibstil ist gängig und angenehm lesbar. Obwohl zahlreiche Sachinformationen aufgeführt und besprochen werden, gelingt es dem Autor, dies in kompakter Art und Weise darzustellen.

 

Das Buch richtet sich zuerst an Mitglieder täuferisch-mennonitischer Gemeinden, um den Wert ihrer Gemeindetradition für das Hier und Heute zu entdecken. Die frische Sprache und dynamische Kraft der Ausführungen weckt aber auch bei nicht-mennonitischen Lesern Interesse, denn Murrays Gedanken inspirieren die eigene Glaubensausübung.  „Einer der Anziehungspunkte täuferischer Spiritualität ist ihre Demut und Offenheit für Korrektur und für neue Einsichten“.

 

Das Anliegen des Verfassers kann so wiedergegeben werden: „Es geht ihm um freigelegte Glaubensinhalte jenseits bestimmter traditioneller und konfessioneller Formen. Aus einer täuferischen Perspektive versucht er den nackten Kern des Christseins zu beschreiben, und damit zu zeigen, was diese Überzeugungen für den Glauben heute noch bedeuten“. 

 

Hier geht es zur Leseprobe.


Das Buch: 

  • Murray, S. (2020): Nackter Glaube. Christsein in einer nachchristlichen Welt (2. Aufl.), Neufeld Verlag, 184 Seiten, ISBN: 978-3-86256-046-2, Preis: 14,90€

erhältst du im Buchhandel oder direkt hier.

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