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Freie Liebe

Beide Großkirchen kämpfen aktuell ums Überleben. „Eine beliebte Strategie ist jeweils die Verbilligung des Angebots, namentlich die Ent-Ethisierung des Evangeliums“, so Bernhard Meuser. Mit den einleitenden Worten „alle wollen nur das Eine“ macht Meuser, seinerseits Theologe, Publizist und Autor seine Leser neugierig. Denn in seinem Buch „Freie Liebe“ möchte er über die neue Sexualmoral sprechen und aufzeigen, dass solche Strategien nur noch weitere leere Kirchenbänke mit sich bringen wird.

 

Zu Beginn sollte erwähnt werden, dass Meuser selbst zu denen gehört, die als Jugendlicher von einem homosexuellen Priester missbraucht wurden. Er berichtet davon im zwölften Kapitel. Daher ist es nur allzu verständlich, dass er ein Befürworter der „Freien Liebe“ ist. Darunter versteht er: „Liebe ohne Freiheit ist Sklaverei. Und Freiheit ohne Liebe ist Betrug“. Und weil Meuser eine besondere Geschichte mit der Kirche – (s)eine Sexgeschichte – hat, hat er jahrelang über richtige und falsche Liebe, über Sex, Gewalt, Kirche und Freiheit nachgedacht. „Seit einer Reihe von Jahren leben wir als Gesamtgesellschaft beziehungstechnisch in explizitem Kontrast zu allen unseren Vorgängergenerationen, ohne uns des tiefen Einschnitts wirklich bewusst zu werden“.

 

Sein Buch unterteilt sich in drei Teile. Zunächst beleuchtet Meuser, weshalb Menschen alle nur das Eine wollen. Obwohl für viele Menschen, die von außen auf den Glauben und die Kirche schauen, Christsein mit Moral identisch ist, möchte er betonen, dass „Moral heißt: für das Ganze und vom Ganzen her zu denken“. In anderen Worten ausgedrückt: „Moral ist ein Artenschutzprogramm für die gefährdete Gattung Mensch“. Und so hat der Schöpfer in puncto Sexualität eben etwas Wunderbares geschaffen. „Aus dem genetischen Cocktail zweier gegengeschlechtlicher Individuen entsteht ein neues Individuum, das nicht die Summe seiner Teile, sondern etwas völlig Neues, nie Dagewesenes ist“. Die weiteren Ausführungen lassen sich mit folgendem Satz umschreiben: „Es hat den Anschein, als verlieren wir gerade kollektiv das Gefühl dafür, dass Menschen keine Produkte sind“.

 

Im zweiten Teil widmet sich Meuser nun dem Aspekt der Kirche und ihrem Sexproblem. Dabei wendet er sich der Katholischen Kirche im Speziellen zu. In diese Ausführungen fließen auch die Enttäuschung über die halbherzige Aufarbeitungsstrategie seiner Kirche bezüglich der Missbrauchsskandale mit ein. In diesem Teil setzt sich der Autor intensiv mit der „neuen Sexualmoral“ von Eberhard Schockenhoff auseinander. Seiner Ansicht nach ist die Matrix, die der Priester und Theologe Schckenhoff vorlegt, unbefriedigend. Schon allein für die intensive Auseinandersetzung ist Meuser zu danken, da er als persönlich Betroffener Schwachstellen benennt und so für viele Stille zu einer Stimme wird, die vernommen werden kann. „Schockenhoff liefert kirchlichen Verantwortungsträgern das perfekte Alibi, sich mit prekären Themen in der Kirche […] nicht auseinandersetzen zu müssen“.

 

"Wo ist aber die ‚neue Sexualmoral', die junge Leute kraftvoll dazu einlädt, den göttlichen Masterplan der Liebe zu verwirklichen?", fragt er. Und so geht Meuser im letzten Teil nun auf die Suche nach den Umrissen einer neu akzentuierten Sexualmoral. Besonders der Bereich der Moral ist für den Verfasser hierbei bedeutsam. „Eine Moral, die zum Glauben wie ein Addendum von außen hinzukommt, ist ebenso unmoralisch, wie ein Glaube unglaubwürdig ist, der von außen zur Moral hinzukommt“. Schlussendlich bringt die Spielart der Liebe den christlichen Glauben zum Vorschein. „Was Heiraten und Familie gründen mit Gott und von ihm her ist, muss leuchten durch Christen, durch Paare, die sich in das verwegene Abenteuer einer Liebe ohne Hintergedanken stürzen“. Meuser spricht Klartext, wenn es um die Einordnung von Sex und Liebe geht. „Was man landauf, landab noch immer als große Errungenschaft der Sexuellen Revolution feiert – die Trennung von Sex und Liebe -, ist in Wahrheit der Sündenfall der Moderne“.

 

Die Lektüre lässt Welten aufeinanderprallen. So treffen beispielsweise Judith Butler – eine Vordenkerin der Genderideologie – und der heilige Thomas von Aquin aufeinander. Vermeintliche Vordenker der Theologie, wie der kürzlich verstorbene Priester Eberhard Schockenhoff, werden kritisch hinterfragt. Meuser ist dabei nicht kleinlaut unterwegs, sondern wird die Geister scheiden.

 

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass Meuser immer wieder – gemäß seiner Glaubensauffassung – katholische Theologen und Lehren der römisch-katholischen Kirche anführt. Doch muss man ehrlicherweise konstatieren, dass in Sachen Ethik und Moral die katholische Auffassung den Evangelikalen heutzutage näher ist, als die des Protestantismus in weiten Teilen. Beispielhaft sei nur die Auffassung über praktizierte Homosexualität erwähnt. „Auf jeden Fall kann man von der Heiligen Schrift her Folgendes sagen: Eine durch Entscheidung herbeiführbare, frei zu wählenden homosexuelle, bisexuelle, diverse Lebensweise, wie sie die Genderbewegung als Option schon in den schulischen Unterricht meint einbringen zu müssen, ist durch die Heilige Schrift nicht gedeckt und kann auch durch virtuose Uminterpretation nicht hergestellt werden“!  

 

Dem Leser kommt zugute, dass Meuser fremdsprachliche Begriffe erläutert und sich um eine möglichst un-theologische Sprache bemüht. Außerdem gelingt es ihm seine Darlegungen mit vielen spannenden Beispielen zu untermauern und so zu veranschaulichen. Ebenso stellt er die Wertigkeit des christlichen Glaubens dar. „Einen Glauben haben, heißt nicht zuletzt: einen Wissensvorsprung Gottes annehmen und zu hören, wenn er sich selbst mitteilt“. 

 

Schlussendlich ist „Freie Liebe“ ein Buch, das sachlich provoziert und seine Leser mit in den Dialog hineinnimmt, was gutes Leben ausmacht. Hervorzuheben ist Meusers klare Positionierung zu einer persönlichen Beziehung zu Jesus Christus, die das Fundament des christlichen Glaubens darstellt. „Man wundert sich, dass im Raum christlicher Theologie eine Fülle von Ansätzen sprießen, die diese einfachste und klarste aller Lösungen nicht im Blick haben: Jesus. Als könnte man neben Jesus, nach Jesus oder ohne Jesus einen Weg in das wahre und das gute Leben finden, uns als könne man ohne den, der von sich sagte, er sei „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh. 14,6), eine tragfähige Moral-Theologie bauen“. Daher ist Dominik Klenk nur zuzustimmen: „Wenn das christliche Moral ist, dann wünsche ich „Freie Liebe“ in die Hand jedes evangelischen und katholischen Christen“. 

 

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Das Buch:

  • Meuser, B. (2020): Freie Liebe. Über neue Sexualmoral, Fontis Verlag, 432 Seiten, ISBN: 978-3-03848-203-1, Preis: 20,00€ 

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